Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung

Das Bild des Arbeitsmarktes in Deutschland ist mittlerweile von einem branchenübergreifenden Fachkräftemangel geprägt. Zunehmend bleiben auch Ausbildungsplätze unbesetzt. Verstärkt wird die Entwicklung durch den demografischen Wandel. Angesichts vergangener und bestehender Krisen ist eine gute Fachkräftebasis aber essenziell, um die Innovations- und Leistungsfähigkeit der deutschen Marktwirtschaft aufrecht zu erhalten. Die Bundesregierung hat daher ein Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung vorgelegt, welches im Juni 2023 vom Bundestag verabschiedet und auch bereits vom Bundesrat gebilligt wurde. Darin soll der Rechtsrahmen für eine gezielte und gesteuerte Einwanderung zusätzlicher Fachkräfte aus Drittstaaten geschaffen werden, um mehr ausländische Fachkräfte für den deutschen Arbeitsmarkt zu gewinnen. Unter anderem wird nach vermeintlichem Vorbild von Einwanderungsländern wie Kanada und Australien ein Punktesystem zur Steuerung gewollter Einwanderung eingeführt. Im Vergleich zu den klassischen Einwanderungsländern setzt man hierzulande jedoch nicht ausschließlich auf das Punktesystem.

Wesentliche Neuregelungen

Aufbauend auf dem bewährten Fachkräfteeinwanderungsgesetz aus dem Jahr 2020 soll die Fachkräfteeinwanderung künftig auf verschiedenen Wegen möglich sein. Die Neuregelung fußt auf drei Säulen: Qualifikation – wie bereits bisher, zukünftig ergänzt um Erfahrung und Potenzial. Auf die Einführung eines grundlegend neuen Verfahrens, beispielsweise durch Umstellung auf ein reines Punktesystem, wie es in anderen Einwanderungsländern geführt wird, wurde bewusst verzichtet. Es gebe keine Evidenz, dass ein solcher Systemwechsel zu besseren Ergebnissen führen würde.

Neben der Erwerbsmigration soll auch die Bildungsmigration gestärkt werden, indem die Aufnahme eines Studiums in Deutschland attraktiver gemacht wird. Der Aufenthalt zur Ausbildungsplatzsuche wird ebenfalls erheblich erleichtert. Bestehende Zweckwechselverbote entfallen weitgehend, um die Aufnahme einer Beschäftigung im Anschluss an die Berufsqualifikation zu fördern.

Die Fachkräftesäule: qualifikations- und bedarfsorientierte Einwanderung

Die Fachkräftesäule beschreibt die Zuwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt nach Qualifikation und Bedarf. Sie ist bereits jetzt das zentrale Element der Einwanderung und soll es auch mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz bleiben. Schon heute kann eine Fachkraft über die Blaue Karte EU (EU Blue Card) oder die nationale Aufenthaltserlaubnis nach Deutschland kommen. Fachkräfte sind Personen, die entweder eine inländische qualifizierte Berufsausbildung oder eine ausländische Berufsqualifikation besitzen, die mit einer inländischen Berufsausbildung gleichwertig sind (Fachkraft mit Berufsausbildung) oder Personen, die einen deutschen, einen anerkannten ausländischen oder einen einem deutschen Hochschulabschluss vergleichbaren ausländischen Hochschulabschluss besitzen (Fachkraft mit akademischer Ausbildung).

Wichtigste Neuerung in diesem Bereich ist, dass Fachkräfte zukünftig jede qualifizierte Beschäftigung ausüben dürfen. Damit entfällt der Zusammenhang zwischen Ausbildung und Beruf.

Blaue Karte EU

Die Einwanderung von akademischen Fachkräften wird entsprechend einer EU-Richtlinie derzeit durch die Blaue Karte EU ermöglicht. Die Blaue Karte EU ist ein Aufenthaltstitel für Akademiker:innen außerhalb der EU, die in einem EU-Mitgliedsstaat eine Arbeit aufnehmen. Voraussetzungen für die Blaue Karte EU sind ein akademischer Hochschulabschluss und ein Arbeitsvertrag mit einem bestimmten Mindestbruttogehalt.

Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz wird in Anpassung an die EU-Richtlinie eine umfassende Neuregelung zur Erteilung der Blauen Karte EU mit einigen Veränderungen zur alten Rechtslage vorgenommen:

  • Die bestehende Gehaltsschwelle für die Erteilung der Blauen Karte für Regel- und Engpassberufe wird von 58.400 EUR brutto auf 43.800 EUR brutto im Jahr herabgesetzt.
  • Zur Erleichterung des Berufseinstiegs wird eine niedrige Mindestgehaltsschwelle für Berufsanfänger:innen mit akademischem Abschluss geschaffen.
  • Inhabern einer Blauen Karte wird ein Arbeitgeberwechsel und die Mobilität innerhalb der EU erleichtert.
  • Der Familiennachzug zu Inhabern der Blauen Karte in die EU wird erleichtert.
  • IT-Spezialist:innen können künftig auch ohne Hochschulabschluss eine Blaue Karte erhalten, wenn sie bestimmte non-formale Qualifikationen nachweisen können.
  • Personen, die von einem EU-Mitgliedstaat den Status eines international Schutzberechtigten erlangt haben, können die Blaue Karte ebenfalls erhalten.

Anerkennungspartnerschaft

Durch die Einführung einer Aufenthaltserlaubnis auf Grundlage einer sogenannten Anerkennungspartnerschaft wird ausländischen Arbeitskräften bereits vor Abschluss des Verfahrens zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen (sog. Anerkennungsverfahren) die Einreise ermöglicht. Beschäftigte und Arbeitgeber verpflichten sich, das Anerkennungsverfahren zügig durchzuführen. Der Arbeitgeber muss sich verpflichten, dem ausländischen Beschäftigten den Ausgleich der von der zuständigen Stelle festgestellten Unterschiede zur deutschen Berufsqualifikation zu ermöglichen. Darunter können beispielsweise Freistellungen von der Arbeit oder betriebliche Praktika fallen. Im Gegenzug kann die Fachkraft in Deutschland bereits vom ersten Tag an eine qualifizierte Beschäftigung aufnehmen.

Die Erfahrungssäule: Einwanderung bei ausgeprägter berufspraktischer Erfahrung

Nach früherer Rechtslage bekam eine Aufenthaltserlaubnis stets nur, wer eine Berufsqualifikation nachweisen konnte, die mit einer inländischen Berufsausbildung gleichwertig ist. Diese Hürde der formellen Anerkennung einer Berufsqualifikation ist wegen hoher Anforderungen und langer Verfahrensdauer schwer zu überwinden. Daher wird zukünftig die Beschäftigungsverordnung (BeschV) eine wichtige Einreiseoption enthalten, die nicht nur für die IT-Branche, sondern für alle nicht reglementierten Berufe gilt: Die Möglichkeit zur Erlangung eines Aufenthaltstitels wird für solche Personen bestehen, die zumindest einen ausländischen Berufs- oder Hochschulabschluss vorweisen können, der jedenfalls von dem Staat, in dem er erworben wurde, anerkannt ist und die über eine mindestens zweijährige einschlägige Berufserfahrung verfügen. Die neue Beschäftigung muss eine bestimmte Gehaltsschwelle erreichen oder eine Tarifbindung des Arbeitgebers aufweisen.

Damit ermöglichen zukünftig ein inländischer Arbeitsvertrag, einschlägige Berufserfahrung und ein ausländischer Abschluss die Erlangung eines Aufenthaltstitels.

Die Potenzialsäule: Einwanderung mit Chancenkarte

Eine weitere wesentliche Neuerung wird mit der sog. Chancenkarte eingeführt. Dabei handelt es sich um ein Aufenthaltsvisum, das für solche Personen erteilt werden kann, die gerade noch keinen Arbeitsvertrag haben, sondern sich auf der Suche nach einer Erwerbstätigkeit befinden. Die Chancenkarte soll die Einwanderung für Arbeitnehmer:innen ermöglichen, die ein gewisses „Potenzial“ für den deutschen Arbeitsmarkt mitbringen, denen bislang die Arbeitsplatzsuche aber nicht möglich war. Zwingende Voraussetzung ist, dass die Person zumindest einen ausländischen, mindestens zweijährigen Berufsabschluss oder einen Hochschulabschluss nachweisen kann. Außerdem muss der Lebensunterhalt gesichert sein. Die Chancenkarte gilt dann für ein Jahr. Sie bietet Möglichkeiten zur Probearbeit oder Nebenbeschäftigung. Bei erfolgreicher Suche wird gewährleistet, dass der Aufenthalt zu Erwerbs- oder Bildungszwecken fortgesetzt werden kann.

Das Sechs-Punkte-System

Wer eine Chancenkarte erhält, richtet sich entsprechend dem Vorbild anderer Einwanderungsländer nach einem Punktesystem. Es müssen mindestens sechs Punkte erreicht werden. Fachkräften kann unabhängig vom nachfolgend aufgeführten Punktesystem eine Chancenkarte erteilt werden. Punkte werden für folgende Kriterien vergeben:

  • Berufliche Qualifikation (im Ausstellungsstaat, aber nicht in Deutschland anerkannte Berufs- oder Hochschulausbildung): 4 Punkte
  • Sprachkenntnisse
    • Gute Deutschkenntnisse: 3 Punkte
    • Ausreichende Deutschkenntnisse: 2 Punkte
    • Englischkenntnisse auf C1 Niveau: 1 Punkt
  • Berufserfahrung nach Berufsqualifikation
    • 5 Jahre innerhalb der letzten sieben Jahre: 3 Punkte
    • 2 Jahre innerhalb der letzten 5 Jahre: 2 Punkte
  • Alter
    • Nicht älter als 35 Jahre: 2 Punkte
    • Über 35, aber nicht älter als 45 Jahre: 1 Punkt
  • Mindestens 6 Monate rechtmäßiger, ununterbrochener Aufenthalt in Deutschland in den vergangenen 5 Jahren: 1 Punkt
  • Mit einreisende(r) Ehepartner:in oder Lebenspartner:in erfüllt ebenfalls die Voraussetzungen für die Erteilung der Chancenkarte: 1 Punkt

Berufliche Qualifikation und einschlägige Berufserfahrung sind also besonders gewichtige Kriterien. Letztlich steht die Erteilung der Chancenkarte aber im Ermessen der Behörde. D. h. das Erreichen der sechs Mindestpunkte führt nicht automatisch zum Einreisevisum.

Fazit

Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung enthält viele neue Ansätze mit dem Potenzial, die Fachkräfteeinwanderung tatsächlich zu fördern. Doch die Rechtslage und damit die praktische Umsetzung der Einwanderung bleiben kompliziert und werden durch die verschiedenen Möglichkeiten zwar flexibler, aber auch unübersichtlicher. Versäumt hat der Gesetzgeber jedenfalls eine Digitalisierung des Verwaltungsverfahrens oder andere Möglichkeiten zur effizienteren Bewältigung des Verwaltungsaufwandes, der durch die vielen Neuerungen sogar noch höher wird. Bereits jetzt sind die Behörden überlastet und die Verfahren lang. Empfehlenswert für Arbeitgeber ist es daher, frühzeitig mit der Planung beginnen, welche offenen Stellen möglicherweise mit ausländischen Fachkräften besetzt werden könnten. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes ist derzeit im Dezember 2023 zu rechnen.

 

 

Dr. Anja Naumann, LL.M.

Rechtsanwältin

Sven Groschischka

Rechtsanwalt

 

 

 

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