Mai 2024

Der betriebsverfassungsrechtliche Schulungsanspruch: Reisen auf Kosten des Arbeitgebers?

von Nadine Schenker

Nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) haben Betriebsräte Anspruch auf die Teilnahme an für die Betriebsratsarbeit erforderlichen Schulungen. Die Kosten übernimmt dabei im Regelfall der Arbeitgeber. Neben den eigentlichen Seminargebühren hat der Arbeitgeber zumeist auch die notwendigen Reise-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten des Betriebsratsmitglieds zu tragen. Wie weit diese Pflicht tatsächlich reicht und wodurch sie begrenzt wird, haben wir in diesem Beitrag für Sie zusammengefasst.

Aktuelle Entscheidung des BAG (Beschl. v. 07.02.2024 –7 ABR 8/23)

In einer im Februar ergangenen Entscheidung urteilte das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einer Auseinandersetzung zwischen einem Arbeitgeber und dessen Personalvertretung wegen der Kostentragungspflicht für die Teilnahme an Schulungen. Hierbei wollte die Personalvertretung zwei ihrer Mitglieder zu einer mehrtägigen Schulung nach Potsdam schicken. Der Arbeitgeber mit Sitz in Nordrhein-Westfalen war zwar bereit, die Seminargebühr zu zahlen, weigerte sich jedoch, auch die Kosten für Übernachtung und Verpflegung zu übernehmen. Er begründete dies vor allem damit, dass die Mitglieder der Personalvertretung an einem zeit- und inhaltsgleich angebotenen Webinar desselben Schulungsanbieters hätten teilnehmen können. Das BAG gab jedoch der Personalvertretung Recht und verpflichtete den Arbeitgeber auch zur Übernahme der Übernachtungs- und Verpflegungskosten.

Der betriebsverfassungsrechtliche Schulungsanspruch

Hintergrund dieser Entscheidung ist, dass Betriebsräte grundsätzlich einen Anspruch auf Schulung und Freistellung haben. Sie sollen sich fachgerecht weiterbilden und so die Arbeitnehmer im Betrieb kompetent und rechtssicher vertreten können. Gesetzlich geregelt ist der Schulungsanspruch für den Betriebsrat in § 37 BetrVG, wobei zwischen erforderlichen und geeigneten Fortbildungsveranstaltungen unterschieden wird. Der Arbeitgeber ist zudem dazu verpflichtet, diejenigen Kosten zu tragen, die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehen. Dies schließt grundsätzlich auch die Kosten ein, die aus der Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds an einer Schulungsveranstaltung resultieren.

Begrenzt wird diese Kostentragungspflicht des Arbeitgebers jedoch dadurch, dass nur die Kosten von erforderlichen Schulungs- und Bildungsveranstaltungen zu erstatten sind. Erforderlich sind Schulungsveranstaltungen in der Regel dann, wenn unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse im Betrieb und im Betriebsrat das vermittelte Wissen notwendig ist, damit der Betriebsrat seine gegenwärtigen oder zukünftigen Aufgaben sach- und fachgerecht erfüllen kann. Hierfür muss ein aktueller oder absehbarer betrieblicher Anlass bestehen.

Grenzen der Kostentragungspflicht

Der Betriebsrat hat hinsichtlich der Erforderlichkeit von Schulungsmaßnahmen einen Beurteilungsspielraum. Dennoch muss der Betriebsrat bei der Auswahl der Schulungen stets im Blick behalten, dass er dem Arbeitgeber nur angemessene Kosten aufbürdet, die er als gerechtfertigt erachtet. Dies wird ferner begrenzt durch das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Es ist regelmäßig ein schmaler Grat zwischen dem Recht des Betriebsrats auf Weiterbildung und der Vermeidung übermäßiger finanzieller Belastungen für den Arbeitgeber. Bei der Entscheidungsfindung sollten daher insbesondere auf Seiten des Betriebsrats die konkrete betriebliche Situation und die finanziellen Auswirkungen einer Schulungsveranstaltung auf den Arbeitgeber berücksichtigt werden. Es ist sicherzustellen, dass der Nutzen der Schulung in einem angemessenen Verhältnis zu den dafür aufgewendeten Mitteln steht. Das bedeutet im Einzelfall auch, dass der Betriebsrat alternative Möglichkeiten zur Weiterbildung in Betracht ziehen sollte, die kostengünstiger sind, aber dennoch vergleichbare Kenntnisse vermitteln. Einen gesetzlichen Anspruch des Arbeitgebers darauf, dass der Betriebsrat zwingend die kostengünstigste Schulungsmöglichkeit wählen muss, gibt es jedoch nicht. Wenn der Betriebsrat eine Schulung für qualitativ hochwertiger hält, kann er diese grundsätzlich trotz höherer Kosten für den Arbeitgeber wählen.

Webinar statt Präsenzseminar?

Hierauf stellte auch das BAG in seiner Entscheidung ab: Danach durfte die Personalvertretung zurecht annehmen, dass Präsenzschulungen in Bezug auf den Lernerfolg wesentlich effektiver seien als inhaltsgleiche Onlineschulungen. Denn selbst bei identischen Lehrinhalten seien die Interaktionsmöglichkeiten bei einer Onlineschulung in der Regel deutlich geringer, da weniger Fragen und Beiträge aus dem Teilnehmerkreis zu erwarten seien. Auch der Austausch unter den Teilnehmern über die Handhabung von Mitbestimmungsrechten in den jeweils verschiedenen Betrieben finde bei Onlineschulungen erfahrungsgemäß weniger statt. Das BAG hebt hervor, dass der dem Betriebsrat zustehende Beurteilungsspielraum auch das Format der Schulung umfasst. Dem stehe grundsätzlich nicht entgegen, dass bei einem Präsenzseminar üblicherweise höhere Kosten für Übernachtung und Verpflegung der Teilnehmer anfallen als bei einem Webinar.

Arbeitsrechtliche Handlungsoptionen

In der Praxis führen Auseinandersetzungen über die Kostentragungspflicht bei Schulungen regelmäßig zu Konflikten zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten. Die Thematik um "Schulungs-, Reise- und Hotelkosten" sollte daher möglichst proaktiv bereits vor der Entstehung etwaiger Konflikte angesprochen und gemeinsam mit dem Betriebsrat versucht werden, eine wirtschaftlich tragfähige Kompromisslösung zu finden. So kann versucht werden, eine möglichst weitgehende Kostenschonung des Arbeitgebers mit der erforderlichen Teilnahme an Schulungsmaßnahmen des Betriebsrats in Einklang zu bringen.

 

 
Prof. Dr. Marion Bernhardt
Rechtsanwältin | Partnerin
 

 

Dr. Ulrich Becker
Rechtsanwalt I Partner
 

 

 

Sven Groschischka
Rechtsanwalt | Counsel

 
 

 

 

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